14.12.2025

Ankaras Strategie im Friedensprozess

Der Friedensprozess bringt für die Regierung gleich mehrere strategische Vorteile: Die neuen Machtverschiebungen im Nahen Osten – vor allem in Syrien – machen eine politische Lösung des Kurdenkonflikts nun wahrscheinlicher. Innenpolitisch sucht die AKP nach dem Verlust der Mehrheit bei den Kommunalwahlen und in den Umfragen nach einer Möglichkeit, die Opposition zu spalten; denn ohne die Kooperation mit der prokurdischen DEM Partei wäre der CHP Erfolg in den Metropolen 2024 kaum möglich gewesen. Die AKP setzt außerdem darauf, dass sie die DEM Partei für die Änderung der Verfassung gewinnen kann, die Präsident Erdogan nochmals die Gelegenheit der Kandidatur geben würde.

Als pdf herunterladen

Schwieriger Friedensprozess

Ausgelöst durch eine Geste des nationalistischen MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli bei der Parlamentseröffnung im Oktober 2024, als er die prokurdischen DEM-Abgeordneten demonstrativ begrüßte, nahm ein eigenwilliger Friedensprozess seinen Anfang. Auf der einen Seite rückt der inhaftierte PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan zunehmend in den Mittelpunkt, auf der anderen Seite wird gleichzeitig gegen die CHP und die gesellschaftliche Opposition vorgegangen. Während das Ziel der Beendigung der blutigen Auseinandersetzungen von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wird, entsteht zugleich der Eindruck, dass es dem Regierungsbündnis vor allem darum gehe, den Boden für eine Wiederwahl von Staatspräsident Erdoğan zu bereiten.

Eine grundsätzliche Voraussetzung für jeden Friedensprozess ist Vertrauen. Es muss Unterstützung in der breiten Öffentlichkeit gewonnen werden und die Beteiligten müssen sich über Ziele und den Weg zum Frieden verständigen. Während die Regierung den Prozess „terrorfreie Türkei“ nennt, geht es der DEM Partei um mehr. Sie fordert zusätzlich politische Reformen. Die CHP unterstützt den Friedensprozess, begegnet ihm jedoch mit Misstrauen: Sie befürchtet, dass es sich vor allem um den Versuch handeln könnte, das Präsidialsystem mit Recep Tayyip Erdoğan an der Spitze abzusichern und die Opposition in dieser Frage zu spalten. Mehrere rechte Parteien – darunter die beiden nationalistischen İYİ-Partei und Zafer-Partei – lehnen den Friedensprozess hingegen grundsätzlich ab. Demgegenüber zeichnet sich in Syrien ein durch die USA unterstützter Kompromiss zwischen den kurdisch dominierten Autonomiegebieten im Norden und der Zentralregierung ab. Die Türkei war an den Gesprächen anlässlich des Besuchs des neuen syrischen Präsidenten Ahmed al-Scharaa und US-Präsident Trump auf Außenministerebene vertreten. Bisher hatte die türkische Regierung nicht nur sicherheitspolitische Bedenken, sondern begegnete der Idee der regionalen Selbstverwaltung mit Ablehnung. Auch wenn bisher nicht bekannt ist, was ausgehandelt wurde, deuten die Stellungnahmen aller Parteien darauf hin, dass ein Kompromiss gefunden wurde.

Bei den Beratungen der eigens für den „Prozess“ eingerichteten türkischen Parlamentskommission, der „Kommission für nationale Solidarität, Brüderlichkeit und Demokratie“, wurden einige Tabus überwunden – andere bestehen fort. Eine ähnliche Bilanz kann auch für die Syrien-Politik gezogen werden. Eine Perspektive für eine Demokratisierung der Türkei ergibt sich daraus nicht automatisch, wohl aber für ein mögliches Ende des bewaffneten Konflikts in der Türkei.

Abdullah Öcalan besuchen?

Der Gründer der PKK, Abdullah Öcalan gilt bis heute als Führer der PKK, obgleich er seit 1999 in der Türkei inhaftiert ist. Er sitzt in einem besonderen Gefängnis auf der Marmara Insel Imrali – über Jahre in Einzelhaft und vollständiger Isolation, dann mit einer ausgewählten Gruppe von weiteren Gefangenen. Seiner Verehrung in der PKK und damit seiner Autorität über sie hat dies keinen Abbruch getan.

Politische Wirkung kann er nur mit Zustimmung des türkischen Staates entfalten. Über Jahre hinweg wurde selbst seinen Anwälten jeglicher Besuch verboten. In anderen Phasen seiner Inhaftierung wurden neben Anwalts- auch Familienbesuche erlaubt, in Verhandlungsphasen auch Delegationen von der prokurdischen HDP/DEM.

Im Parlamentsausschuss zur Begleitung des Friedensprozesses spielt die Frage, ob der Ausschuss auch Abdullah Öcalan anhören solle, eine wichtige Rolle. Die DEM hat stets gefordert, dass Abdullah Öcalan als Verhandlungsführer anerkannt werden müsse. Dazu müssten seine Haftbedingungen entsprechend geändert werden. Für ein Gespräch mit Öcalan ist auch die MHP eingetreten, die auf seine Führungsrolle in der PKK verweist. Innerhalb der AKP gab es Bedenken, die nicht zuletzt auf Meinungsumfragen zurückgeführt werden. Ende November legte das Meinungsforschungsinstitut Area Umfrageergebnisse vor nach denen zwar zwei Drittel der Befragten den Friedensprozess unterstützen, jedoch ebenso zwei Drittel gegen ein Gespräch mit Öcalan wären.

Die islamisch-konservative Neue Wohlfahrtspartei von Fatih Erbakan hatte dagegen bereits im September einen Öcalan-Besuch kategorisch abgelehnt und mit dem Rückzug aus der Parlamentskommission gedroht. Die CHP hatte sich die Entscheidung bis zur Abstimmung offengehalten, sich dann aber gegen eine Beteiligung an einem Öcalan Gespräch entschieden. Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel erklärte dazu, die CHP sei nicht ein Waggon, der einfach dem Zug des Präsidenten folge. Bei der Lösung des Kurden-Konflikts könne es nicht allein um eine Entwaffnung der PKK gehen. Auch die politischen und juristischen Repressalien auf die Partei führen zu einer grundsätzlichen Skepsis.

Der Besuch von Mitgliedern der Kommission bei Öcalan im Gefängnis in Imrali wurde dann mit den Stimmen von AKP, MHP und DEM beschlossen. Dies löste intensive Diskussionen aus. Für zahlreiche Oppositionsanhänger:innen war diese Konstellation der Prototyp für ein neues Bündnis, das letztlich auf Verfassungsänderungen zielt, die dem Machterhalt von Staatspräsident Erdogan dienten. Dieser Eindruck wird dadurch erhärtet, dass die AKP parallel erklärt, ihre Vorbereitungen für eine Verfassungsänderung stünden kurz vor der Fertigstellung.

Der Besuch bei Abdullah Öcalan Ende November ließ die Erwartungen, insbesondere aus Sicht der PKK, weitgehend offen. Bekannt und bestätigt wurde der Besuch erst, nachdem die Delegation aus Imrali zurückgekehrt war. Zunächst blieb eine öffentliche Erklärung aus; zwei der drei Delegierten vermieden öffentliche Stellungnahmen. Auf Druck der Öffentlichkeit wurde in der Kommission schließlich eine Zusammenfassung verlesen – was umgehend eine Debatte über deren Vollständigkeit auslöste, nachdem die DEM-Vertreterin betonte, dass zentrale Punkte ausgelassen worden seien. Die Regierung zeigt damit, dass sie noch nicht bereit ist, Öcalan als Vermittler zu akzeptieren. Stellungnahmen der PKK zeigten sich enttäuscht. Ohne Freiheit für Öcalan könnten keine weiteren Schritte der PKK erwartet werden, erklärte ein Sprecher Ende November. Im Hinblick auf Straffreiheit für ehemalige Kämpfer:innen erklärte eine PKK-Funktionärin, dass keine Verbrechen begangen worden seien und es somit keiner Amnestie bedürfe.

Vieles spricht dafür, dass es nicht das letzte politische Gespräch mit Abdullah Öcalan war. Während die PKK daran arbeitet, Öcalan als Symbolfigur kurdischer Identität zu etablieren und ihm in der türkischen Öffentlichkeit Legitimität zu verschaffen, setzt die Regierung auf eine Fortführung des Entwaffnungsprozesses und darauf, die DEM in ihr Verfassungsprojekt einzubinden.

Pax Americana in Syrien?

Der wichtigste Grund für die langsame Entwicklung der Verhandlungen ist die Lage in Syrien. Die türkische Regierung betrachtet die PYD, die die treibende Kraft hinter der Selbstverwaltung im Norden Syriens ist, als Teil der PKK. Im März 2025 hatte es eine grundsätzliche Einigung zwischen den Selbstverwaltungsgebieten und ihren Milizen (Demokratische Kräfte Syriens) mit der syrischen Zentralregierung gegeben, in der grundsätzlich die Einheit Syriens betont und die Eingliederung der Milizen in die neugeschaffene Armee verabredet wurde. Von kurdischer Seite wurde dies jedoch mit der Erwartung verknüpft, dass sie als Volksgruppe anerkannt, ihre Selbstverwaltungsstrukturen nicht angetastet und die Milizverbände als operationsfähige Einheiten in die syrische Armee eingegliedert werden. Diese Forderungen wurden jedoch von der syrischen Regierung und auch der türkischen zurückgewiesen. Derweil bemühte sich insbesondere die US-Regierung um eine Vermittlung.

Der Besuch des syrischen Präsidenten al-Scharaa in Washington am 10. November 2025 genoss eine internationale Aufmerksamkeit. Im Vorfeld hatten die USA beim UN-Weltsicherheitsrat die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien gefordert. Um den Besuch zu ermöglichen, musste die US-Regierung ihn außerdem von der Terrorismusliste streichen. Zu den interessanten Details des Empfangs des syrischen Präsidenten al-Scharaa durch Präsident Trump gehört, dass unmittelbar zuvor ein Treffen der Außenminister der USA, Syriens und der Türkei stattgefunden hatte. Nach dem Treffen erklärte der türkische Außenminister Hakan Fidan, dass die USA das Risiko eines Zerfalls Syriens erkannt hätten. Es gehe darum, die Einheit des Landes zu bewahren und zugleich Sicherheit für Leben und Eigentum zu gewährleisten – ohne dass sich religiöse oder ethnische Gruppen unter Druck gesetzt fühlen. Folgt man den Statements nach dem Gespräch der Präsidenten, scheint eine Formel gefunden zu sein, auf deren Grundlage Verhandlungen zwischen der Autonomieverwaltung und der Zentralregierung beginnen können. Dass diese kurzfristig zu einem Ergebnis kommen, ist nicht zu erwarten. Letztlich werden an dieser Stelle wesentliche Teile der zukünftigen neuen syrischen Verfassung diskutiert.

Bedeutsam für den Friedensprozess in der Türkei ist bei dieser Entwicklung, dass Außenminister Fidan grundsätzlich die Notwendigkeit bestätigt, dass sich die verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen in Syrien frei von Druck fühlen können. Einen grundsätzlichen Einwand gegen die Existenz der von der PYD getragenen Selbstverwaltungsstrukturen erhebt er nicht.

Selahattin Demirtaş fordert gesellschaftliche Versöhnung

Selahattin Demirtaş ist sowohl Symbolfigur als auch ein wichtiger Akteur der kurdischen Politik. Der frühere Ko-Vorsitzende der HDP, der Vorgängerpartei der heutigen DEM, ist seit 2016 inhaftiert und wurde im Zusammenhang mit den sogenannten Kobani-Protesten vom 6. bis 8. Oktober 2014 wegen mutmaßlicher Anstiftung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen seine Inhaftierung und die gegen ihn angestrengten Prozesse gibt es mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die eigentlich zu einer unverzüglichen Freilassung führen müssten. Die türkische Justiz verwies jedoch immer wieder darauf, dass diese Urteile noch nicht rechtskräftig geworden seien. Die Einspruchsfrist für ein Berufungsverfahren vor dem Menschenrechtsgerichtshof lief Ende Oktober 2025 ab. Die DEM hatte erwartet, dass im Zuge des begonnenen Friedensprozesses die türkische Regierung auf einen Berufungsantrag verzichten würde. Gleichwohl wurde dieser nur einen Tag vor Fristablauf gestellt. Dieser wurde jedoch nach bereits zwei Wochen in der Vorprüfung abgewiesen, womit das Urteil rechtskräftig geworden ist. Entsprechend stiegen die Erwartungen auf eine baldige Freilassung von Selahattin Demirtaş. Doch auch mehr als einen Monat danach ist er weiterhin nicht entlassen. Viele Kommentatorinnen und Kommentatoren werten dies als Hinweis darauf, dass die Dauer seiner Haft weniger von juristischen als von politischen Erwägungen abhängig ist – und dass folglich auch eine Freilassung eher eine politische als eine rein gerichtliche Entscheidung wäre. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass die Freilassung vor allem im Regierungslager meist als politische Geste aufgefasst wird, nicht jedoch als rechtliche Verpflichtung. Die türkische Verfassung bewertet jedoch Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als verbindlich. Die Folge eines solchen Urteils ist im Falle eines Rechtsverstoßes, dass der Vertragsstaat die Grundrechtsverletzung unverzüglich abstellen muss. Vor diesem Hintergrund ist die Argumentation, die Rechtskraft des Urteils abzuwarten, stets kritisiert worden. 

Spätestens mit seinen Präsidentschaftskandidaturen 2014 und 2018 ist Selahattin Demirtaş zu einem Politiker geworden, dessen Einfluss über die kurdische Bewegung hinausgeht. Auch wenn er nach der Parlaments- und Präsidentenwahl 2023 erklärte, er ziehe sich aus der Politik zurück, hat er sich entschieden hinter den neuen Friedensprozess gestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er nicht auch versuchte, darüber hinauszugehen. Anfang November 2025 wendete er sich mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, den Friedensprozess nicht auf eine Frage von Gesetzesänderungen zu reduzieren. Unter dem Stichwort „Geschwisterrecht“ erklärte er, dass die parlamentarischen Entscheidungen leichtfallen werden, wenn das Gefühl der Zusammengehörigkeit gefördert wird. Dies müsse auch durch symbolische Aktivitäten gefördert werden – seien es Besuche des Atatürk Mausoleums oder Freundschaftsspiele mit Amed Spor, dem Fußballclub aus Diyarbakır.

Der Kurden-Konflikt und die Demokratisierungsperspektive

Betrachtet man den Oktober 2024 als Ausgangspunkt für den Friedensprozess, so ergibt sich das Paradox, dass in diesem Monat auch die Ermittlungen gegen CHP-geführte Kommunen begannen. Sie werden begleitet durch verstärktes Vorgehen gegen oppositionelle Medien und zahlreichen Demonstrationsverboten. In Meinungsumfragen hat das Regierungsbündnis seine Mehrheit verloren und verfügt nicht mehr über die Mehrheit für eine Verfassungsänderung. Diese benötigt das Regierungsbündnis jedoch, wenn sie an Präsident Erdoğan festhalten wollen. Zwar besteht die Möglichkeit, dass dieser ein weiteres Mal als Präsident kandidieren könnte, wenn das Parlament Neuwahlen beschließt. Doch angesichts der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage würde es die Regierung vorziehen, die Wahlen so spät wie möglich durchzuführen.

Der Friedensprozess bietet unter dieser Perspektive drei Vorteile. Zunächst lassen die veränderten Kräfteverhältnisse im Nahen Osten und insbesondere die Entwicklung in Syrien eine Lösung des Kurden-Konflikts möglich erscheinen. Innenpolitisch gibt die neue Lage dem Regierungsbündnis die Möglichkeit geschickt zu taktieren und die mächtige Opposition in dieser Frage zu spalten. Der Erfolg der CHP bei der Kommunalwahl 2024 wäre ohne eine Kooperation mit der DEM in den Metropolen kaum möglich gewesen. Gelänge es zudem, die DEM zu Beratungen über Verfassungsänderungen zu bewegen, wäre auch die Durchsetzung einer neuen Kandidatur Erdoğans denkbar.

Die DEM versucht, einer Vereinnahmung durch die AKP zu entgehen, indem sie ihre demokratischen Ziele betont. Sie lehnt die Absetzung gewählter Bürgermeister:innen grundsätzlich ab – sowohl der CHP als auch der eigenen Partei. Zudem versteht sie sich nicht nur als kurdische, sondern auch als linke politische Kraft. Ungeachtet dieser Demokratisierungsziele bleibt ein Friedensprozess mit der PKK das zentrale Anliegen der Partei. Die Freilassung von Abdullah Öcalan oder zumindest dessen Freizügigkeit, Politik zu machen, ist für sie von strategischer Bedeutung.

Aber an genau dieser Stelle wird die Strategie für das Regierungsbündnis riskant. Eine Freilassung von Abdullah Öcalan wäre extrem unpopulär. Und eine Beteiligung an einer Verfassungsänderung, die eine Wiederwahl Erdoğans möglich machte, würde auch linke Wählerinnen und Wähler von der DEM zur CHP treiben. Aus diesem Grund werden AKP und MHP versuchen, die DEM in eine Verfassungsdiskussion zu ziehen, die zu einer weiteren Entfremdung von der CHP und der übrigen Opposition führt. Zugleich werden sie versuchen, die CHP als eigentlich störende Kraft im Friedensprozess darzustellen. 

Vor diesem Hintergrund greift der Vorwurf, die CHP sei in der Kurdenfrage nationalistisch eingestellt, zu kurz. Das neue Parteiprogramm enthält zentrale kurdische Forderungen, darunter das Recht auf Muttersprache, auf muttersprachliche Bildung sowie die Stärkung kommunaler Selbstverwaltung. Entscheidend wird jedoch sein, ob es der CHP gelingt, diese Positionen auch politisch wirksam in den laufenden Friedensprozess einzubringen.

Eine ambivalente Zwischenbilanz

Aus progressiver Perspektive eröffnet der derzeitige Friedensprozess trotz aller Widersprüche neue politische Handlungsspielräume. Die veränderten regionalen Kräfteverhältnisse, insbesondere in Syrien, haben die bislang dominante sicherheitspolitische Logik zumindest partiell aufgebrochen und machen eine politische Bearbeitung des Kurdenkonflikts wieder denkbar. Zugleich zeigt der Blick nach Syrien, dass Fragen von Selbstverwaltung, Anerkennung ethnischer Vielfalt und politischer Teilhabe inzwischen offen verhandelt werden – auch wenn die Ergebnisse bislang unsicher bleiben.

In der Türkei selbst ist dieser Spielraum jedoch bislang kaum mit einer überzeugenden Demokratisierungsperspektive unterlegt. Der Friedensprozess bleibt stark von machtpolitischen Kalkülen geprägt und ist eng mit verfassungs- und wahlpolitischen Interessen der Regierung verknüpft. Repressionen gegen die Opposition, Einschränkungen kommunaler Selbstverwaltung sowie die ausbleibende Umsetzung rechtsstaatlicher Entscheidungen – etwa im Fall Selahattin Demirtaş – untergraben das für einen nachhaltigen Frieden notwendige Vertrauen.

Gleichwohl wäre es verkürzt, den Prozess allein als taktisches Manöver zu deuten. Die breite gesellschaftliche Unterstützung für ein Ende der Gewalt, die parlamentarische Thematisierung des Konflikts und die erneute Öffnung politischer Kommunikationskanäle markieren reale Veränderungen. Ob daraus mehr entsteht als ein begrenzter sicherheitspolitischer Ausgleich, wird maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, den Friedensprozess mit verbindlichen demokratischen Reformen, rechtstaatlichen Garantien und einer Stärkung lokaler Selbstverwaltung zu verknüpfen. Erst dann könnte aus der aktuellen Konstellation eine Perspektive für einen inklusiven und dauerhaften Frieden erwachsen.

Impressum

Herausgeberin
Friedrich-Ebert-Stiftung -Türkei Büro 

Cihannüma Mahallesi

Mehmet Ali Bey Sk. No: 12 D:4 

Beşiktaş - Istanbul 

info.tr@fes.de
 

Verantwortlich
Tina Blohm, Landesvertreterin
 

Autor
Dr. Stefan Hibbeler
 

Redaktion
Tamer İlbuğa 

tamer.ilbuga@fes.de
 

Bildnachweise
Seite 3: www.demparti.org.tr/tr/demirtas-in-uluslararasibaris-ve-demokratik-toplum-konferansina-gonderdigimesaji/22391/ 

Seite 4: www.demparti.org.tr/tr/imrali-heyetimiz-mhp-ilegorustu-yasal-bir-duzenlemeye-ihtiyac-var-ve-bu-bir-baris-yasasiolmali/22407/ 

Seite 5: CHP / Doğuşan Özer / 08.12.2025
 

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten
sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung
e.V. (FES). Eine gewerbliche Nutzung der von der FES herausgegebenen
Medien ist ohne schriftliche Zustimmung durch die
FES nicht gestattet. Publikationen der FES dürfen nicht für Wahlkampfzwecke verwendet werden.
 

Dezember 2025 ©FES Türkei
 

Türkei-Nachrichten Archiv

Friedrich-Ebert-Stiftung
Türkiye Temsilciliği

Istanbul Bürosu
+90 212 310 82 37
+90 212 258 70 91

Ankara İrtibat Bürosu
+90 312 441 85 96

contact.TR(at)fes.de

Bültenimize abone olun